Titel: Rückblick Anti-Lager-action-Tour |
Rückblick auf die Anti-Lager-action-Tour und das Widerstandscamp in Bramsche-Hesepe For freedom of movement – against deportation and exclusion: Unter diesem Motto bewegte sich die Anti-Lager-action-Tour vom 20. August bis zum 5. September von West nach Ost durch Deutschland. Das erste Widerstandscamp fand vom 20. bis 25. August in Bramsche-Hesepe, in unmittelbarer Nähe zum dortigen Abschiebelager, statt. Die action ging allerdings schon vorher los. Schon Ende Juni war es uns gelungen, eine Wiese von privat – nur ca. 200 Meter Luftlinie vom Abschiebelager entfernt – zu pachten. Die Behörden in Bramsche waren dabei zuvorkommend und behilflich. Offensichtlich peilten sie den Zusammenhang eines antirassistischen Camps und dem in der Nähe liegenden Flüchtlingslager nicht, obwohl auch zeitgleich die Auftaktdemo „Für die Rechte von Flüchtlingen“ angemeldet wurde. So konnten wir zunächst in Ruhe das Camp vorbereiten. Schon früh versuchten wir, Flüchtlinge die wir von unseren Besuchen im Abschiebelager kennen, in die Vorbereitungen mit einzubeziehen. Tatsächlich stieß unser Vorhaben teilweise bei Flüchtlingen auf Skepsis. Aber nicht weil sie glaubten, unsere Arbeit hätte negative Folgen für sie, sondern weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß es doch noch mehr Menschen gibt, die sich mit ihren Forderungen nach Abschaffung der Lagerunterbringung und menschenwürdigen Verhältnissen solidarisieren. Wir hingegen begrüßten, daß es nach längerer Zeit wieder eine Gruppe von Flüchtlingen in dem Lager gab / gibt, die aktiv selbst für ihre Rechte eintritt, Forderungen stellt und auf vielfältige Weise protestiert. Schon im Mai diesen Jahres hatten bei einem Lagerbesuch tschetschenische Flüchtlinge einen Brief übergeben, mit der Bitte um Weiterleitung an Menschenrechtsorganisationen, in dem sie auf die menschenunwürdige Behandlung aufmerksam machen. Über den niedersächsischen Flüchtlingsrat wurden die Forderungen der Tschetschenen in der Presse veröffentlicht. Doch außer der Bekundung des Lagerleiters Conrad Bramm der Presse gegenüber, daß er die Forderungen nicht nachvollziehen könne, stattdessen eine Kampagne gegen sein Lager befürchtete, folgte nichts. So sollte denn Bramm seine Kampagne kriegen: Am 26. Juli blockierten ca. 100 Flüchtlinge die Pforte des Lagers. Sie forderten Öffentlichkeit und ein Gespräch mit verantwortlichen Personen. Das Lagerpersonal reagierte reflexartig wie immer und holte die Polizei. So musste dann der Polizeichef von Bramsche das geforderte Gespräch ermöglichen, das auch gleich am nächsten Tag mit einem Vertreter der ZAST Oldenburg stattfand. Wirkliche Ergebnisse brachte das Gespräch für die Flüchtlinge nicht, aber die Lagerleitung musste in der Presse zugeben, daß es vielleicht nicht richtig sei, kriegstraumatisierte Flüchtlinge in einem Abschiebelager unterzubringen. Weitere Gespräche mit der Lagerleitung über die Lebensbedingungen wurden zugesagt. Nachdem auf diese Zusagen nichts folgte, organisierten die Flüchtlinge am 12. August eine weitere Blockade der Pforte und ein weiteres Mal wurde als einzige Reaktion die Polizei gerufen. Diesmal sollte Herr Bramm zur Rede gestellt werden. Dieser wurde dann zwar von der Polizei telefonisch herbeizitiert, verweigerte aber jegliches Gespräch und erstattete stattdessen Anzeige gegen die Flüchtlinge wegen Nötigung. Gleichzeitig gab es noch eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch gegen eine Unterstützerin und ein unbefristetes Hausverbot. Die Aktionen fanden ein breites Medienecho auch über die Region hinaus und Bramm hatte alle Hände voll zu tun, sein Lager zu rechtfertigen und sich als Opfer einer Diffamierungskampagne hinzustellen. Nebenbei lief die Mobilisierung zum Camp und zur Anti-Lager-action-Tour auf vollen Touren und die Planungen nahmen immer konkretere Formen an. Die Stadtverwaltung war auf einmal gar nicht mehr freundlich und fühlte sich hintergangen. Ihnen wäre es lieber gewesen, wir hätten uns von vornherein als die gewaltbereiten Chaoten vorgestellt, die wir gar nicht sind. In den letzten Tagen sollte uns dann alles so schwer wie möglich gemacht werden. Der Dorfsheriff von Hesepe meinte sogar so weit intervenieren zu müssen, daß uns Strom und Wasser verweigert wird, als wenn das das Camp verhindert hätte! Im Rahmen der Deeskalationsstrategie vermittelte dann der Osnabrücker Staatsschutz, so daß wir die Infrastruktur doch erhielten. Der Staatsschutz sieht nun mal lieber glückliche Autonome. Bei Vorgesprächen mit dieser Abteilung der Polizei war auch zugesichert worden, daß es im Rahmen von Gelassenheit und Deeskalation zu keinen überflüssigen Kontrollen, z.B. wegen Residenzpflichtverletzungen, kommen sollte. Auch sollte durch die Polizei kein Flüchtling am Verlassen des Lagers gehindert werden, der zu unseren Aktionen kommen wollte. Das war allerdings nicht ganz so einfach zu vermitteln. Denn ausgerechnet im Flüchtlingslager wurden die Hundertschaften der Polizei stationiert, die sämtlich für uns „Chaoten“ aufgefahren wurden. Die Forderung nach Freizügigkeit für die Flüchtlinge während des Camps hatten wir aber mittlerweile so in der Öffentlichkeit platziert, daß es dem Lagerpersonal schwer wurde, Flüchtlinge an der Zusammenarbeit mit uns zu hindern, was dennoch auf teilweise subtile Weise versucht wurde. Nebenbei war die Hetze gegen uns in der Presse in vollem Gange. Kein Wunder, daß die EinwohnerInnen von Hesepe allmählich wirklich Angst vor dem Camp bekamen. So war zumindest der Zeitung zu entnehmen. Bei einem Gespräch mit dem Bürgermeister von Hesepe erfuhren wir zudem, daß die HeseperInnen von Seiten des Landesinnenministeriums völlig falsch über die Flüchtlinge in dem Lager und über das Konzept des Lagers informiert worden waren. Deshalb beschlossen wir, noch vor Beginn des Camps eine Hauswurfsendung in Hesepe durchzuführen, um sowohl über das Lager als auch über das Camp zu informieren. Und siehe da, wir wurden nicht aus dem Ort gejagt, sondern fast alle Leute waren ruhig und interessiert. Am Freitag, den 20. August ging es dann los. Im Laufe des Tages reisten die AktivistInnen – Menschen mit und ohne Fluchthintergrund – aus ganz Deutschland an und es entstand eine Zeltstadt mit einem großen Zelt für alle 300 Leute, mehreren kleineren Gemeinschaftszelten und den Schlafzelten. Der ruhende Mittelpunkt waren das Zelt und die Wagen der Volxküche. Die Vokü-Gruppe verbreitete von Beginn an eine angenehme und friedliche Atmosphäre und kochte dazu phantastisch. Am Abend konnten dann die Begrüßung und das erste Plenum im großen Zelt stattfinden. Am Samstag den 21. August zog die Auftaktdemo zur Anti-Lager-action-Tour durch Hesepe. Morgens holten wir mit einer Delegation und begleitet von einem NDR-Kamerateam Flüchtlinge vom Tor des Abschiebelagers zur Demo ab. Schon am Freitagabend hatte der NDR in der Sendung „Hallo Niedersachsen“ einen Beitrag über das Lager und das Camp gebracht. An diesem Abend sollte es einen Beitrag über die Demo und die Aktionen geben. Unsere Delegation traf am Tor zunächst nur auf Lagerpersonal und vereinzelte Polizei, zu der sich dann auch der Einsatzleiter des Tages, Klaus Bergmann, Polizeioberrat und sonst eigentlich zuständig für den südlichen Osnabrücker Landkreis, gesellte. Er meinte, hier gleich schon mal ein paar Ansagen zur bevorstehenden Demo machen zu müssen. Nach und nach kamen die Flüchtlinge heraus. Sie berichteten, daß trotz aller Zusagen doch sehr viele Angst hätten, sich an der Demo zu beteiligen. Sie fürchteten sich vor der Polizei und vor Schwierigkeiten, die sie nach der Demo bekommen könnten. Gemeinsam gingen wir zunächst zurück zum Camp und dann zum Auftaktort am Heseper Bahnhof. Nach etlicher Verzögerung, weil wir noch auf Leute warten mussten, ging die Demo mit dem Auftaktredebeitrag los. Danach gab es dann die erste Einlage des Seitenscheiderballetts auf Stelzen und dann ging es durch den Ort Hesepe. Viele HeseperInnen beobachteten den Demozug, hörten sich die Reden aus dem Lautsprecherwagen an und nahmen Anti-Lager-action-Tour-Newspapers entgegen. Die Reaktion der meisten war auch hier eher freundlich und interessiert, wenn auch eher zurückhaltend. Auf den letzten hunderten Metern wurde die Stimmung dann kribbelig. Schließlich näherten wir uns dem Abschiebelager und seinem Zaun, dem Symbol der Ausgrenzung für die Flüchtlinge. Nach den Demoauflagen war es untersagt, bis an diesen Zaun heranzugehen. Als wir dann vor dem Lager ankamen gab es jedoch lediglich ein rot-weißes Absperrband, das uns von dem Zaun trennte, über das die DemoteilnehmerInnen einfach hinweg stiefeln konnten. So dauerte es nicht lange und der Zaun wackelte erheblich. Doch kurz bevor er fallen konnte, griff die Polizei ein. Schwer gepanzert und mit Reiterstaffel ging sie gegen die Demo vor. Bei den Rangeleien kam es zu einer Festnahme (Vorwurf: Widerstand und Körperverletzung). Die abgedrängte Demo forderte nun lautstark Einlaß in das Lager und versuchte immer wieder, ein weiteres Mal an den Zaun zu kommen. Der reichlich genervte Einsatzleiter, der zwischendrin seine ebenso genervten Pferde abziehen musste, stellte dann um Viertel vor Vier ein Ultimatum, entweder wir verschwinden, oder er lässt Gewalt anwenden. Punkt 4 Uhr gingen wir dann langsam Richtung Camp zurück. Viele der Flüchtlinge aus dem Lager begleiteten uns noch und dankten für die Solidarität. Am Sonntagmorgen in aller Frühe bekam dann zur Abwechslung mal Herr Bramm bei sich zu Hause Besuch von einer Delegation. Er ließ sich nicht blicken, obwohl er zu Hause war und es recht laut wurde vor seinem Haus und Sturm geklingelt wurde. So musste ihm der vorbereitete Abschiebebescheid in den Briefkasten gesteckt werden. Bis Polizei anrücken konnte, war die Delegation wieder auf dem Weg zum Camp. Danach ging es dann mit der Bahn zum Aktionstag in Neuss. Hier befindet sich der bundesweit einzige Abschiebeknast für Frauen. Begleitet wurden die ZugfahrerInnen von einer Putzkolonne. Während der 4-stündigen Fahrt machte der „Blue-Silver-Block“ an den Umsteigebahnhöfen auf die Inhalte der Tour aufmerksam. In den Zügen arbeitete sich eine feministisch-antirassistische Putzkolonne durch die Abteile: Die putzenden Aktivistinnen reinigten Fenster und Böden, was bei den Fahrgästen Verwunderung auslöste. „Sind das die neuen 1-Euro-Jobs für Arbeitslose?“, wollten manche wissen. „Warum putzen Sie während der Fahrt?“, fragten andere. Manche Fahrgäste hofften ins Fernsehen zu kommen und suchten vergeblich nach der versteckten Kamera. Nach so vielen offenen Fragen nahmen die Fahrgäste gerne die Flugblätter entgegen, die von der letzten Reinigungskraft verteilt wurden. Aus denen ging hervor, daß die Putzkolonne sich mit MigrantInnen solidarisiert, die als Reinigungskraft arbeiten. Viele von ihnen sind illegalisiert. Sie sind in diesen Jobs meist völlig unterbezahlt und nicht sozial- und krankenversichert und haben kaum die Möglichkeiten sich gegen sexualisierte und rassistische Übergriffe zu wehren. Die Fahrgäste reagierten überwiegend positiv (außer einige, die es ignorierten) und interessiert auf die Flugblätter, auch die Bahnangestellten. Und so reisten die AktivistInnen in sauberen Zügen mit klaren Scheiben nach Neuss. In Neuss ging eine Demo zum Abschiebeknast und danach in die Innenstadt, wo viele Kundgebungen abgehalten wurden. Mit vielen bunten Aktionen an jedem Bahnhof ging es dann mit dem Zug nach Bramsche-Hesepe zurück. Montag war dann Aktionstag in Osnabrück. Wieder holte eine Delegation Flüchtlinge aus dem Lager ab, diesmal mit dem Bus. Der Rest der AktivistInnen fuhr mal wieder Zug. Am Hasetorbahnhof wurden wir gleich von der Polizei empfangen, die uns bis zum Nikolaiort begleitete. Hier wurde ein „Speekers Corner“ veranstaltet und eine Ausstellung über Flucht und Fluchtursachen aufgebaut. Flüchtlinge aus ganz Deutschland erzählten über ihre Situation und zwischendurch gab es immer wieder Trommeleinlagen. Auf dem anschließenden Weg zum Hauptbahnhof gab es einen unerfreulichen Zwischenfall in Form einer Festnahme durch einen Zivicob. Als eine weitere Person diese Festnahme fotografierte, wurde auch sie brutal festgenommen und der Film beschlagnahmt. Im Bahnhof wurde es noch einmal laut und es wurden Faltblätter zum Thema „verdachtsunabhängige Kontrollen“ und „Brechmitteleinsätze in Osnabrück“ verteilt. Abends setzten wir uns mit Flüchtlingen aus dem Lager zusammen und planten den nächsten Tag. Wir beschlossen, ein gemeinsames Frühstück auf dem Parkplatz vor dem Lager zu veranstalten und nachmittags ein Fußballspiel auf dem Platz des Fußballvereins neben dem Camp. Der Platz wurde uns gerne überlassen, niemand hatte mehr Angst, daß wir alles kaputt machen. Ein Team des Fußballvereins Hesepe ließ sich so kurzfristig allerdings nicht mehr organisieren. Um 10 Uhr startete das Frühstück am Dienstag vor dem Abschiebelager. Auch jetzt kamen zuerst nur zögerlich Flüchtlinge aus dem Lager dazu, aber im Laufe der Zeit wurden es immer mehr. Beschämend fanden wir, daß nach und nach Mütter kamen und fragten, ob sie Obst und frisches Gemüse mitnehmen dürften, das bekämen sie im Lager nicht. Neben dem Frühstück gingen immer wieder AktivistInnen am Zaun des Lagers lang, um weitere Flüchtlinge einzuladen. Auch hier wurde wieder deutlich, daß sich viele nicht trauten, kein Wunder zwischen uns und den Flüchtlingen war nicht nur der Zaun, sondern auch Polizei, zum Teil mit Hunden. Am Tor des Lagers gab es derweilen ein Solokabarett von einem Bolzenschneider aus dem Ballett, in das ein wenig ungewollt auch die Pförtner miteinbezogen wurden. Kurz nach Mittag wurde das Frühstück beendet, damit das Fußballspiel vorbereitet werden konnte. Nachdem wir den Parkplatz verlassen hatten, war dieser ganz schön bunt und auch das Schild der „Landesaufnahmestelle“ war mit etlichen Parolen verschönert. Während einige von uns am Nachmittag Fußball spielten, langweilte sich die Polizei. Schließlich waren sie an diesem Tag extra noch mal verstärkt worden, weil sie eine unangemeldete Demo in Bramsche erwarteten, die sie sofort aufgelöst hätten. Stattdessen standen sie jetzt rum. Abends gab es dann noch mal ein großes Plenum, auf dem vor allem die Weiterfahrt zum nächsten Tourort besprochen wurde und kurze Statements zum Camp in Bramsche abgegeben wurden. Insgesamt waren wohl alle zufrieden mit dem Camp in Bramsche und wir aus der Osnabrücker Region ganz besonders. Am Mittwoch standen dann wieder alle früh auf, schließlich sollte es um 10 Uhr weiter nach Hannover gehen und es musste noch alles in die zwei Busse und die anderen Fahrzeuge verpackt werden. Während des Packens kam ein Flüchtling aus dem Lager vorbei und erzählte erfreut, daß über Nacht 15 Meter des Zauns um das Lager herum umgefallen sind. Das ist wohl das peinlichste in der Bilanz des Polizeieinsatzes, hunderte Polizisten schlafen neben einem Zaun, der dann einfach so umfällt, dabei waren sie extra gekommen, um diesen Zaun zu beschützen. Mit einer Stunde Verspätung ging es zur nächsten Station der Tour nach Hannover. In Hannover-Langenhagen befindet sich seit Mai 2000 auf dem Gelände des Flughafens ein Abschiebeknast. Vor diesem fand dann eine Demonstration statt. Einfach ein elendes Bauwerk, umgeben von 5 m Zaun mit Natodrahtrollen oben, zum Zweck der Ausgrenzung und Einschließung von Menschen, deren einziges Verbrechen darin besteht hier zu existieren, einfach da zu sein. Davor, Bullen auf Pferden und in Lederjacken. Die Demo, ca. 200 Menschen, führte an 3 Komplexen vorbei, 2 Trakte für Männer, einer für Frauen. Die Demo war laut und kraftvoll, was besonders am Blue and Silver Block lag, an dem sich viele Flüchtlinge beteiligt haben. An jedem Trakt ein längerer Stopp, rhythmisches Trommeln, Winken und Rufen zu den Gefangenen, die sich an den Fenstern drängelten und winkten. Ein kleiner Funken Hoffnung im staatlich verordneten Elend, unmaskierte Fratze staatlichen Rassismus´. Ein bisschen Gerangel, immer wieder Gerüttel an den Absperrgittern ... Auf dem Rückweg dann ein Schild in einem Fenster: „In meiner Heimat habe ich Todesstrafe“. Wir riefen: Woher? Welche Sprache? Arabische TeilnehmerInnen der Demo begannen eine Kommunikation über Rufen. Sie kommen aus Syrien, Irak, sollen dorthin abgeschoben werden. Ein Mensch gab über Rufen Tipps, was tun bei Abschiebung. Ein Wärter versuchte die ganze Zeit schon, die Kommunikation zu stören, den Flüchtlingen den Mund zu verbieten, als die Tipps kamen schloß er das Fenster. Ein russischsprachiger Mann aus dem kaukasischen Raum begann laut rufend eine Kommunikation, eine russisch sprechende Frau antwortete. Die Demo ging zu Ende, mit der Wut und dem Grauen im Bauch ging es weiter in die Innenstadt, ca. 300 Leute jetzt, vom Kröpke zum Camp auf dem Faustgelände. Unter einem satten Regenschauer gelangte die Demo endlich zum Camp, Zelte wurden aufgebaut, Essen Plenum ... Ein anstrengender Tag, körperlich und mental, ging zu Ende. Donnerstag, 26. August: Tagesausflug nach Halberstadt: Ungefähr 70 Flüchtlinge aus dem Lager begrüßten uns vor dem Lager. Obwohl eine Polizeiwanne ungefähr 50 m vom Haupteingang entfernt stand, war das Tor selbst nicht bewacht. Nach einer kurzen Besprechung mit den Flüchtlingen aus dem Lager nutzten die DemonstrantInnen den Vorteil, daß eine Seitentür nicht geschlossen war, und spazierten frech ins Lager. Im Lager gibt es drei Abteilungen: das Abschiebungs- oder sog. Ausreisezentrum, das Erstaufnahmezentrum und das Heim für Asylbewerber. Sobald wir im Lager waren, multiplizierte sich die Anzahl der Polizeiwannen in Sekundenschnelle und viele Polizisten füllten das Gelände und provozierten die DemonstrantInnen wie üblich. Die DemonstrantInnen waren erfolgreich dabei, einen Rundgang durch das Lager zu machen und dabei Protestslogans und Parolen für die Schließung des Lagers zu rufen. Ein Flüchtling der im Abschiebungslager wohnt, erzählte: Die Verlängerung des Aufenthalts findet täglich statt und ist normalerweise für einen Tag bis maximal eine Woche gültig. Die BewohnerInnen bekommen weder Bargeld oder Gutscheine, noch ist ihnen erlaubt irgendeine Art von Sozialarbeit im Lager zu verrichten. Sie bekommen gebrauchte Kleidung von der Kirche oder vom Roten Kreuz; sehr häufig ist diese sehr alt. Gekochtes Essen wird ihnen im Lager zur Verfügung gestellt: jeden Tag das gleiche: Reis tagein und tagaus, das ganze Jahr lang. Wenn sie in die Stadt wollen, müssen sie zu Fuß gehen, da sie kein Geld haben. Ungefähr um 13.45 Uhr kam der Konvoi im Stadtzentrum von Halberstadt an, begleitet von ca. 50 Flüchtlingen aus dem Lager. Es fand eine sehr kraftvolle Demonstration rund um das Stadtzentrum statt, begleitet von Sprechchören, die den Stop der inhumanen Behandlung der Flüchtlinge in Lagern, die Schließung dieser Lager sowie die Beachtung des Asylrechtes in Deutschland forderten. Die Demonstration hielt an der Ausländerbehörde an und sandte präzise Botschaften an den dt. Innenminister, Otto Schily, Rassismus zu stoppen. Sein Vorschlag, Lager in Nordafrika zu errichten, ist rassistisch. Diese Lager werden nicht gebaut werden, und die bereits bestehenden Lager in Deutschland müssen geschlossen werden. Dies war die Position der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, gerichtet an die Bevölkerung von Halberstadt, sich zu erheben und gegen die rassistische und inhumane Situation der Flüchtlinge in ihrer Stadt zu kämpfen. Diese Situation ist ein Fluch, der auf der Stadt lastet. Durch die bundesweite Mobilisierung für die Anti-Lager-action-Tour waren die Flüchtlinge in Halberstadt motiviert, für ihre Freiheit zu kämpfen. Sie sind überzeugt, daß sie Freiheit nicht geschenkt bekommen und bereit ihren Kampf fortzusetzen. Ungefähr um 21.30 Uhr begleitete der Konvoi die Flüchtlinge zurück ins Lager, einige von ihnen entschieden sich, die Fahrt mit der Tour zu den nächsten Stationen fortzusetzen. Die meisten TeilnehmerInnen der Demo waren beeindruckt, wie erfolgreich ein guter Kontakt zu den Menschen im Lager aufgebaut werden konnte. Dies ist eines der wichtigsten Ziele der Anti-Lager-action-Tour: gegen die Isolation in den Lagern zu kämpfen. Die AktivistInnen waren gegen 23 Uhr zurück in Hannover. Am Freitag, den 27. August ging es dann weiter zum Camp in Crivitz in Mecklenburg-Vorpommern. Am Montag wurde in Schwerin demonstriert und am Dienstag in Parchim. Bei beiden Demonstrationen war die Polizei äußerst aggressiv und es kam zu mehreren Personenkontrollen und Festnahmen. In Parchim war der Polizeieinsatz besonders brutal. Die Polizei nahm eine angestrebte Personalienfeststellung aufgrund eines lächerlichen Streits um ein Trommelstöckchen zum Anlaß, um die Demonstration nach ihrem Abschluß zu stürmen, die Seitenscheibe des Lautsprechwagens einzuschlagen, deren Insassinnen brutal herauszuzerren und insgesamt 5 Menschen willkürlich festzunehmen. Es ist einfach nur erbärmlich, Menschen deren angebliche Bewaffnung in Trommelstäben, Blechkosen und unbequemen politischen Forderungen besteht, eine ganze Armada schwergepanzerter Polizeikräfte entgegenzuschicken. Dieses Abschiedsbild nahmen wir von Mecklenburg-Vorpommern mit: Eine bunte, laute Demonstration mit hundert TeilnehmerInnen verschiedenen Alters aus allen möglichen Ländern, über deren Köpfen ein Polizeihubschrauber kreist, die am Ende wegen einer Auseinandersetzung über ein Trommelstöckchen brutal von Polizeikräften überrannt wird, wobei vor allem schwarze Menschen festegenommen wurden. Und auch das Camp wurde immer wieder von Polizei heimgesucht. Begründet wurden diese Maßnahmen unter anderem damit, daß es angeblich in Bramsche während des Camps so viele Straftaten gegeben hat. Es wären sogar 46 Beamte verletzt worden, behauptete die Polizeiführung. Eine inoffizielle Anfrage von uns an den Staatsschutz ergab allerdings, daß es kaum zu Anzeigen gekommen ist, und sich die Polizisten wohl gegenseitig verletzt haben müssen, also alles Quatsch. Am 1. September gab es noch einen Abstecher nach Berlin, wo die Mauer wieder aufgebaut wurde, unter dem Motto: „Niemand hat die Absicht, eine Festung Europa zu errichten“. Zuvor waren die AktivistInnen nach Kunersdorf in Brandenburg gefahren und es wurde ein Protestfrühstück gegen das Chipkartensystem veranstaltet. In Berlin gab es dann vor der Demo zur SPD-Zentrale schon wieder Probleme mit der Polizei, die unbedingt einen Bus mit Flüchtlingen kontrollieren wollte. Als aber immer mehr UnterstützerInnen vom Kundgebungsplatz rüberkamen, sah die Polizei ein, daß sie da nichts zu suchen hatte. Letzter Ort der Tour war Eisenhüttenstadt. Auch hier befindet sich ein Abschiebelager, beziehungsweise ist hier ein Abschiebeknast auf dem selben Gelände mit einer Erstaufnahmestelle untergebracht. Auch hier war das Lager für BesucherInnen geschlossen und bei der Kundgebung vor dem Lager kamen Flüchtlinge aus Angst vor Repression nur zögerlich raus. Eine fünfköpfige Delegation durfte dann nach langen Verhandlungen in das Lager rein. Im Laufe der Aktionen gab es wieder Festnahmen und auch Platzverweise. Am Samstag Nachmittag wurde dann noch auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung mit Matthias Platzek in Frankfurt/Oder auf die Forderungen der Anti-Lager-action-Tour aufmerksam gemacht. Als SPD-Mitglied getarnt forderte eine Aktivistin die Schließung von Lagern und die Abschaffung der Residenzpflicht. Ja, und am Sonntag, den 5. September war dann Schluß. Auf dem Abschlussplenum wurde ein erstes Resümee gezogen über Erfolg und Nichterfolg, über das gemeinsame Arbeiten und wie das verbessert werden kann. Die Diskussion geht weiter bei weiteren Treffen und die antirassistische Arbeit geht natürlich auch weiter. Ausblick für Bramsche-Hesepe: Der Beginn der Anti-Lager-action-Tour in Bramsche-Hesepe und das Widerstandscamp haben die Arbeit hier ein ordentliches Stück weit vorangebracht. Hier muß jetzt dringend eingehakt werden. Durchwegs positiv war auf jeden Fall die Präsenz in der Öffentlichkeit und in den Medien. In den Bramscher Nachrichten (und teilweise NOZ) waren wir täglich über zwei Wochen hinweg Thema. Darüber hinaus gab es zwei Fernsehberichte und Artikel in der taz, der Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung, der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Oldenburger Volkszeitung. Außerdem berichteten etliche Radiosender. Die Berichterstattung war also nicht nur lokal begrenzt, sondern erreichte das gesamte Bundesgebiet. Und wir haben es tatsächlich geschafft, in den Medien unsere Standpunkte und Forderungen rüberzubringen. Das ist allein schon deshalb ein Erfolg, weil die Verantwortlichen für das Abschiebelager Bramsche-Hesepe überhaupt kein Interesse an einer Berichterstattung haben, und schon gar kein Interesse daran, daß das Konzept und die Handlungen in dem Lager so massiv in Frage gestellt werden. Der vorläufig letzte Satz der Berichterstattung in den Bramscher Nachrichten war dann auch sehr versöhnlich, ein Zitat aus der Bergpredigt (Mt, 5.6): „Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden“ Erstaunlich schnell und gut haben wie es geschafft, der Hetze von den „gewaltbereiten Chaoten, die Hesepe verwüsten wollen“ entgegenzutreten. Obwohl einige Aktionen durchaus die Grenze zur Militanz überschritten haben (erst wackelte der Zaun, dann fielen ganze 15 Meter raus und die Schilder des Lagers waren ganz schön bunt) dominierten dennoch die Inhalte. Es ist auch wichtiger, daß wir einen Teil der Propagandamauer, die das Landesinnenministerium und die Lagerleitung um das Lager gebaut haben, einreißen konnten. Erstaunlich ist nach wie vor, daß das Innenministerium immer noch nicht in der Presse richtig gestellt hat, daß in diesem Lager keine abgelehnten AsylbewerberInnen untergebracht sind, die auf ihre Abschiebung warten, sondern daß es Flüchtlinge sind, die sich im Asylverfahren befinden und daß diese Flüchtlinge statt einer Beratung im Asylverfahren nur eine Beratung zur sog. „Freiwilligen Rückkehr“ bekommen, begleitet von Repressionen vielfältiger Art. An diesem Punkt der Falschdarstellung werden wir weiter arbeiten, dieses Lager ist und bleibt ein Skandal, der nur durch Schließung behoben werden kann. Was die Bedingungen in dem Lager angeht, sind einmal mehr die vielen Einzelaspekte von Essen, medizinischer Versorgung, Beschulung der Kinder in der Lagerschule, Unterbringung von Kindern und Familien überhaupt und der repressive Umgang von Seiten der Bediensteten vor allem der Ausländer- und der Sozialbehörde zu Tage getreten. Im Laufe des Widerstandscamp kamen uns immer mehr Flüchtlinge besuchen, die bereit sind, mit uns politisch zusammenzuarbeiten. All das macht Mut, weiter zu machen, auch wenn wir wissen, daß die Arbeit nach wie vor zäh sein wird und oft zu Frustration führt. Das größte Problem wird nach wie vor sein, die Menschen hier wachzurütteln, daß sie hinsehen, wenn Ungerechtigkeiten passieren, und daß sie sich solidarisieren. Aber die Arbeit lohnt sich immer, das hat das Camp in Bramsche gezeigt, und deshalb hat das Camp uns neue Kraft gegeben. Weitere Infos unter: www.nolager.de |